Rohstoffe und Wasser werden knapper, Müllberge wachsen und der Klimawandel ist Fakt. Deshalb ist nachhaltiges Wirtschaften das Gebot der Stunde. Das gilt ganz besonders für die Baubranche. Denn dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) zufolge, fallen über ein Drittel des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen sowie die Hälfte des Abfallaufkommens im Bausektor an. Das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) ist angetreten, diesen Trend zu stoppen und Nachhaltigkeit im Bauwesen zu fördern.
Wie umweltfreundlich kann ein Bauprodukt sein?
Das IBU ist ein Zusammenschluss von Bauproduktherstellern, die Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten und sich dabei selbst in der Pflicht sehen. Von „umweltfreundlichen Bauprodukten“ ist dabei allerdings nicht die Rede. Denn: „Ein Bauprodukt ist kein Endprodukt. Sein Einfluss auf die Umwelt hängt von vielen Faktoren ab und wird erst auf Gebäudeebene ersichtlich“, erklärt Dr. Burkhart Lehmann, Geschäftsführer des IBU. Ein zwei- oder dreifach verglastes Fenster zum Beispiel verbraucht zwar mehr Ressourcen und auch mehr Energie beim Herstellungsprozess als ein einfach verglastes. Doch während der Nutzungsphase im Gebäude spart es aufgrund der besseren Wärmedämmung viel Energie ein. Um solche Wirkungen sichtbar zu machen, erstellen IBU-Mitglieder Umwelt-Produktdeklarationen (engl.: Environmental Product Declaration; kurz EPD). Sie liefern vollständige und geprüfte Informationen über eine Vielzahl von Eigenschaften und über die Umwelteinflüsse eines Bauprodukts. Und zwar häufig über den gesamten Lebensweg – von der Herstellung über die Nutzungsdauer bis zur Entsorgung bzw. zum Recycling. EPDs sind somit eine wesentliche Datengrundlage für Gebäudezertifizierungssysteme.
Umwelt-Produktdeklaration: ein Motor für Produktoptimierung
„Mit EPDs machen Hersteller die eigene Produktion transparent“, so Lehmann. „Die Erstellung von EPDs führt zwangsläufig dazu, tiefer in das Thema Nachhaltigkeit einzusteigen.“ So würden nicht nur die Produktionsprozesse, sondern auch das unternehmerische Handeln auf den Prüfstand gestellt. Wie zum Beispiel bei der Lindner Group, einem der jüngsten Mitgliedsunternehmen des IBU. Das Familienunternehmen ist Spezialist in Sachen Innenausbau, Fassadenbau und Isoliertechnik und betreibt neben dem Hauptsitz im bayerischen Arnstorf Produktionsstätten und Tochtergesellschaften mit insgesamt 6.000 Mitarbeitern in mehr als 20 Ländern. Bereits seit über vier Jahren erstellt das Unternehmen Selbstdeklarationen für seine Produkte, um „darin die für die Gebäudezertifizierungssysteme relevanten Aussagen abzubilden“, wie Marcel Gröpler, Koordinator der hauseigenen Abteilung Green Building, sagt. Weder Kunden noch Gesetzgeber hatten diese Selbstdeklarationen gefordert.
Am Unternehmensstandort Dettelbach spielt das Thema Green Building eine besondere Rolle. Hier erstellte ein fachkundiges Mitarbeiterteam die erste Ökobilanz des Unternehmens. Und so kam die Anfrage eines Kunden nach einem Doppelbodensystem für den Flughafen Oslo Gardermoen gerade zur rechten Zeit. Denn: Voraussetzung für die Auftragserteilung war eine EPD für das zu liefernde System. EPDs werden auf Basis von Ökobilanzen erstellt. Somit war der erste Schritt bereits getan. Der zweite Schritt bestand darin, Mitglied des IBU zu werden, um im Anschluss an die Erstellung der EPD diese von unabhängigen Dritten verifizieren und danach vom IBU veröffentlichen zu lassen.
Im Zusammenhang mit der EPD-Erstellung wurde das Doppelbodensystem im Hinblick auf Nachhaltigkeitsansprüche analysiert. Ein Pluspunkt: Die Gipsfaserplatten sind vollständig recycelbar. Doch dazu muss es gar nicht erst kommen, denn aufgrund ihrer Langlebigkeit können die Platten nach ihrer ersten Nutzungsphase wiederaufbereitet und erneut verwendet werden. Der Spezialkleber, mit dem die Stahlstützen befestigt werden, bot Optimierungspotential. Und so wurde der Hersteller in die Pflicht genommen, der daraufhin seine Rezeptur verändert hat, sodass keine umweltrelevanten Emissionen austreten.
Nachhaltigkeit – eine unternehmerische Querschnittsaufgabe
Was bei Lindner mit den Selbstdeklarationen begonnen hat, wurde mit der ersten Ökobilanz und der darauf basierenden ersten EPD, der weitere folgen sollen, konsequent weitergeführt. Der Standort Dettelbach ist gewissermaßen „die Keimzelle der Nachhaltigkeitsbemühungen. Unser Standort soll bis 2020 abfallfrei und CO2-neutral produzieren“, so die Vision des Geschäftsführers Ralph Peckmann. Der Weg dorthin ist längst beschritten: Die neue Alpha-Anlage führt die jährlich etwa 12.000 Tonnen im Werk anfallenden Gipsstäube vollständig in den Produktionsprozess zurück und spart dabei energieintensive Arbeitsgänge ein. Somit verfügt der Standort bereits jetzt über geschlossene Kreisläufe in den Bereichen Wasser und Gips. Zudem werden der Bedarf an Frischgips bzw. REA-Gips, einem bei der Abgasreinigung in Kohlekraftwerken gewonnenen Nebenprodukt, und damit verbundene Transportkosten reduziert. All das wird in der EPD abgebildet.
„Wir wollen Nachhaltigkeit zu unserem Standard machen, ohne dass unsere Kunden mehr dafür zahlen“, so Marcel Gröpler. Deshalb wurden weitere Prozesse eingeleitet: zum Beispiel die Umstellung der Außenbeleuchtung auf LED, die sogenannte intelligente Beleuchtung in den Werkshallen und das papierlose Büro. Gröpler und seine Mitstreiter in der Green-Building-Abteilung sind sich einig: „Es muss aus den Köpfen raus, dass Nachhaltigkeit viel mehr kostet. Denn gerade das wäre nicht nachhaltig.“ Burkhart Lehmann lobt das Unternehmen dafür, dass Nachhaltigkeit zur Querschnittsaufgabe geworden ist. „Genauso soll es sein. Die Konsequenz aus der EPD-Erstellung ist, Potentiale zu erkennen und zu nutzen, um die eigenen Produkte und Prozesse stetig zu optimieren.“
Quelle: Institut Bauen und Umwelt